Kolumne 2/2020: Über Arztbesuche, Angst und das neue Altertum

Flach, aber wahr: Corona ist in aller Munde. Ich schreibe also heute über meinen Arztbesuch. Ich war nämlich neulich nicht beim Arzt, und das kam so:

Vor ein paar Wochen habe ich einen kleinen, aber seltsamen Fleck auf meinem Bauch entdeckt. Ich ahnte noch nicht, dass sich dieser Fleck vergrößern und, schlimmer noch, vermehren würde zu einem Imperium krankhaft geschuppter, rotgeränderter Riesenflecken. Also wiederholte ich mein Verhalten, das ich, krank und beschämt, schon von mir kenne, und es ist ein bisschen wie die fünf Stufen der Trauerbewältigung.

 

Die Verleugnung

 

Zuerst kommt die Verleugnung. Ich versuche, den kleinen Fleck zu ignorieren, das klappt so weit ganz gut. Zwei Wochen später erblicke ich eben beschriebenes Ausmaß und denke mir: Klappt doch nicht so gut. (Okay, eigentlich denke ich nur: “Scheiße!”, und auch: “Jetzt muss ich das mindestens meinem Freund erzählen, oh Gott, und zum Arzt, oh Gott!“)

Wir sehen, das Stigma der Hautkrankheiten trifft mich hart, mein Selbstwert schafft neue Negativrekorde und mein Selbstbild… man erinnere sich an The Shining, genauer: an die Frau in Raum 237. Das bin ich, zumindest in meinem Kopf, gegenüber meinem Freund. Der reagiert übrigens äußerst gelassen, wenn auch leicht besorgt – er ist recht vernunftbegabt. Seine liebe Reaktion allein hilft mir und ich merke: Exposition kann Scham lindern – wenn man nicht gerade auf Arschlöcher trifft.
Apropos Arschlöcher: Seit ich mich mit meinen Flecken geoutet habe, habe ich im Freundeskreis schon zwei Stories zu Hämorrhoiden gehört. Anscheinend sind wir jetzt eine große Anti-Ekel-Selbsthilfegruppe.

 

„Kommt da schwarze, stinkende Flüssigkeit raus?“

 

Natürlich teile ich meine Gefühle von Scham und Ekel auch meiner Schwester mit. Sie fragt:“Kommt da schwarze, dickflüssig-klebrige, übelriechende Flüssigkeit raus?”, was mich direkt denken lässt, das dass das nächste Stadium der Krankheit sei, das ich unweigerlich bald erreichen werde.

Man sieht, meine Angst greift sich alles, was mich milde beunruhigen könnte – und zerrt daran, bis sie es fest in der Hand hat. Verstört antworte ich also meiner Schwester auf ihre mittelmäßig hilfreiche Frage: “Was? Nein!”, woraufhin sie mir sagt: “Dann hör auf, dich zu ekeln!”
Das hilft mir dann tatsächlich ein bisschen und ich merke: Humor ist manchmal doch ‘ne brauchbare Hilfe (und Übertreibung ein unterschätztes Stilmittel).

 

Die Akzeptanz und die Depression

 

Mit all dieser lieben Unterstützung erreiche ich automatisch die nächste Stufe: Ich akzeptiere so langsam, dass ich Flecken habe, und natürlich informiere ich mich nun auch. Ich google also – wie immer und wider besseres Wissen – meine Krankheit und erhalte online prompt meine nächste Krebsdiagnose – oder Borreliose – jedenfalls nichts Schönes. Hautkrankheiten sind nämlich nichts Schönes.
Im schlimmsten Fall beginnt die ganze Chose jetzt erst einmal von vorne, weil ich ja eine neue Krankheit habe, die ich bis dato nicht gar nicht gesehen hatte. Wahrscheinlich liegt das daran, dass ich sie gar nicht habe, aber so viel Vernunft habe ich gerade leider nicht übrig.

 

Willkommen in der Zukunft

 

Als ich am selben Punkt wieder rauskomme, an dem ich ja irgendwie gerade eben schon mal stand, sehe ich mich dann doch zum Handeln gezwungen. Ich rufe meine Hausärztin an und erhalte einen Videotermin. Den ersten, den die Frau jemals machte, es ist ein historischer Moment für uns beide: Für sie, weil sie nicht mehr so viele keimversiffte, kranke Patienten sehen muss. Für mich, naja, dasselbe. Warten im digitalen Wartezimmer ist wahrlich der Himmel: Kaum Wartezeit, meine eigene Lektüre – nie mehr BRIGITTE oder auto motor und sport – und vor allem keine weitere Ansteckung beim Arztbesuch. So! Much! Wow! Willkommen in der Zukunft.

Und wie es häufig ist, wenn man ein Stück Zukunft geschnuppert hat, verstehe ich  plötzlich die Vergangenheit nicht mehr: So wie ich nicht verstehe, dass man seine Kacke aus dem Fenster auf die Straße kippt, so verstehe ich nicht, wieso ich im realen Wartezimmer nochmal Platz nehmen sollte. So wie ich nicht verstehe, dass man Bücher von Hand abschreibt, um sie zu kopieren, so verstehe ich nicht… ihr versteht schon. Ich verstehe jedenfalls nicht so ganz, wieso wir jetzt Corona gebraucht haben, um unseren Gesundheitskram zumindest teilweise digital zu gestalten.

 

Die Verzierungen der P. Rosea

 

Um nun zu guter Letzt meine schlimme Krankheitsstory in Wohlgefallen aufzulösen: Sie ist ungefährlich, nicht ansteckend und geht von selbst wieder weg. Pityriasis rosea ist der malerische Name der Verzierungen, die ich nun wohl noch eine Weile tragen werde.

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